Leseprobe
»Gott, ist das hässlich!«, murmle ich vor mich hin und betrachte eingehend die riesige Holzskulptur vor mir, die entweder eine fette Katze darstellen soll oder meiner Ansicht nach – aus einem anderen Blickwinkel – auch ein männliches Geschlechtsteil sein könnte. Ich kann mich nicht entscheiden.
Wer bitte schön stellt sich so etwas ins Wohnzimmer? Oder ins Haus? Selbst eine durchgestylte, hypermoderne Hotellobby würde wesentlich abgewertet mit solch einer Dekoration. Höchstens im Kaminholzlager würde das Teil eine gute Figur machen.
Aber nein, dieses Gebilde steht hier auf einer internationalen Ausstellung für Immobilieninterieur und -exterieur und erhebt doch tatsächlich den Anspruch, Kunst zu sein. Und soll dazu noch über tausend Dollar kosten. Unfassbar!
»Ich hätte es nicht besser ausdrücken können«, höre ich eine tiefe Stimme direkt neben mir und fahre erschrocken herum.
Wie aus dem Nichts aufgetaucht steht dort plötzlich ein Mann und begutachtet die wertvolle Geschmacksverirrung.
Schnell starre ich wieder geradeaus, nippe an meinem Coffee to go und hoffe, dass ich nicht gerade den Künstler selbst beleidigt habe.
»Ich bin froh, dass ich mit meiner Meinung nicht allein bin. Was soll das sein? Ein Penis?«, fragt der Kerl hörbar amüsiert, und ich bin mir augenblicklich sicher, dass er nicht der Aussteller oder gar der Urheber dieser schaurigen Verschwendung von nützlichen Ressourcen ist. Die Schöpfer solcher Werke reagieren eher allergisch auf Kritik und machen sich nicht darüber lustig.
»Könnte auch eine adipöse Katze sein«, spreche ich meinen ersten Gedanken aus und sehe mir das Teil noch genauer an.
»Das kann nur von einer Frau kommen«, erwidert er und macht den Eindruck, als wolle er mit mir tatsächlich eine Analyse dazu starten.
»Und der Schwanzvergleich nur von einem Mann.« Ich verschweige, dass das mein zweiter Tipp war.
In ein paar Metern Entfernung registriere ich ein junges Paar, das sich offensichtlich interessiert und begeistert über das Stück äußert. Wild gestikulieren sie mit den Armen, lächeln sich dabei immer wieder an und sind scheinbar gerade im Begriff, Kaufverhandlungen aufzunehmen. Suchend sehen sie sich um und gehen dann zielstrebig auf einen Mann zu, der vermutlich der Inhaber des Messestandes ist.
»Was heutzutage alles als Kunst durchgeht«, sage ich kopfschüttelnd.
»Ich könnte zwei Bretter aneinander nageln und behaupten, das sei der neue Trend auf dem Hundehüttenmarkt.«
»Ob Sie auf dieser Messe Interessenten dafür fänden? Hier wirkt alles sehr exklusiv und überteuert.«
»Alles eine Frage der Präsentation.«
»Dabei lässt sich ein Zuhause auch mit einfachen Dingen schön einrichten.«
»Eine Fachfrau?«, fragt er, und ich spüre, wie er mich mustert.
»Sozusagen. Ich …«, setze ich an, unterbreche mich aber augenblicklich, als ich mich wieder zu ihm drehe und direkt ins Gesicht blicke.
Oh mein Gott, ist das etwa …?
Er zieht kaum merklich die Augenbrauen zusammen, ohne dass sein erwartungsvolles Lächeln verschwindet.
»Ich … ähm …«, stottere ich und nehme erst mal einen weiteren Schluck aus meinem Becher, um mich zu sammeln.
Er tut es mir gleich, hebt seinen eigenen Becher, den er in der Hand hält, an die Lippen und verzieht sie dabei spöttisch. Geduldig wartet er ab.
Ich bin mir sicher, dass das Liam Davis ist. Der Liam Davis, wegen dem ich extra aus Los Angeles angereist bin. Er sieht anders aus als auf den Bildern im Internet. Er scheint sich ein paar Tage nicht rasiert zu haben, die dunklen Haare sind nicht so perfekt gestylt und vor allem trägt er eine Lederjacke und nicht den üblichen Anzug, wie auf fast allen seiner Fotos. Und nun treffe ich diesen Liam Davis zufällig hier in Boston auf der Fall Home Immobilienmesse? Ja, klar, ist ja sein Thema … und nicht weit von seiner Heimatstadt entfernt.
Soll ich ihm sagen, dass ich einen Termin mit ihm habe? Aber wie erkläre ich ihm, dass ich so genau weiß, wer er ist und wie er aussieht? Ich kann ja schlecht sagen, dass ich Stunden im Web verbracht und mir Bilder, Interviews und Berichterstattungen über ihn zusammengesammelt habe.
»Ich interessiere mich für Innendesign, habe in dem Bereich schon einiges gemacht«, antworte ich endlich.
»Dann ist die Ausstellung ja genau das Richtige für Sie.«
»Ja, zum Glück gibt es auch geschmackvolle Angebote.«
»Aber eines hat das gute Teil schon geschafft«, meint er, verzieht ganz leicht einen Mundwinkel und wartet ab.
Ich sehe ihn fragend an und muss ebenso lächeln. Sein Blick wandert von meinen Augen zu meinem Mund und wieder zurück. Ich erkenne Neugierde und Vergnügen darin.
»Wir sprechen darüber«, fährt er fort. »Und begutachten es wahrscheinlich länger als jedes andere Ausstellungsstück.«
Ich hebe meine Schultern. »Kaufen werde ich es trotzdem nicht.«
»Ich befürchte, Sie wären ohnehin zu spät dran.« Er deutet auf das Pärchen, das gerade dem Verkäufer die Hand schüttelt und dann ganz verliebt die neue Errungenschaft betrachtet.
»Ich denke, ich kann damit leben«, entgegne ich und leere meinen Kaffee.
»Möchten sie noch einen?«, fragt er und deutet auf den Pappbecher in meiner Hand. »Ich könnte Sie einladen und wir diskutieren über schönere Inneneinrichtung als das da.«
Mein Gott, baggert der mich jetzt etwa an? Er will mit mir einen Kaffee trinken? Ganz sicher nicht! Ich bin aus geschäftlichen Gründen an der Ostküste und werde mich bestimmt nicht privat mit Liam Davis treffen.
»Sehr freundlich, aber ich habe noch eine Verabredung«, lehne ich ab. »Ich muss jetzt auch wirklich …« Ich zeige mit dem Daumen über meine Schulter in irgendeine Richtung. »Hat mich gefreut.«
Bevor er mich doch noch überreden kann, trete ich den Rückzug an und eile zum Ausgang der Halle.